Let it go: Wie lerne ich loslassen, Heinz Rüegger?
Shownotes
Das Altern dauert ein Leben lang. Und sich damit anzufreunden, kann man nicht früh genug anfangen. Findet zumindest mein Gast in dieser I feel you Folge zum Thema Altern. Altern können ist nämlich eine Kunst.
Die Kunst ist, sich immer wieder zu fragen: Was ist in dem Alter, in welchem ich jetzt gerade bin, eigentlich dran? Nicht: Was war vor 5 Jahren dran? Nicht: Was ist in 10 Jahren dran? Sondern jetzt gerade. Niemand hat behauptet, das Altern einfach wäre. Zum Altern gehört das Loslassen. Und das fällt uns häufig am schwersten.
Mein Gast in dieser Folge, Dr. Heinz Rüegger, übt das Altern schon einige Jahre. Er ist Theologe, Gerontologe und Ethiker und spricht mit mir über die Herausforderungen und Möglichkeiten des Alterns.
Transkript anzeigen
00:00:00: Hallo ihr Lieben, herzlich willkommen bei einer neuen Folge von I Feel You, dem Psychologie-Podcast
00:00:24: des RevLab. Mein Name ist Jana Horstmann, ich bin Theologin und Pfarrerin, aber manchmal
00:00:31: wünsche ich mir, ich hätte lieber Psychologie statt Theologie studiert. Weil das so ist,
00:00:37: rede ich in meinem Podcast mit Menschen, die sich auskennen über große Themen und große
00:00:43: Gefühle, für ein bisschen mehr Verständnis für uns selbst und für einander, weil das
00:00:49: Leben schon kompliziert genug ist. In meiner heutigen Folge zum Thema "Altern" spreche
00:00:55: ich mit Dr. Heinz Röger. Heinz Röger ist Theologe, Ethiker und Gerontologe und beschäftigt
00:01:04: sich schon sein Leben lang und jetzt immer noch in seiner Zeit der Pensionierung mit
00:01:09: dem Thema "Altern". Er spricht von einer Lebenskunst des Alterns und sagt, das ganze
00:01:15: Leben ist "Altern" mit allen Herausforderungen, aber auch allen Chancen und Möglichkeiten,
00:01:20: die das "Altern" und das "Altern" mit sich bringen. Darüber reden wir in unserem Gespräch.
00:01:26: Bevor ihr aber gleich das Gespräch von mir und Heinz Röger hört, noch drei kleine Hinweise,
00:01:33: erster Hinweis. Zum Anfang des Gesprächs spricht Heinz noch im Mundart, also Schweizer Dütch,
00:01:39: das ändert sich nach ungefähr fünf Minuten für alle Menschen, die aus Deutschland zuhören
00:01:44: und ihre Mühe mit Schweizer Dütch haben. Er switcht dann nachher ins Hochdeutsche,
00:01:49: nur dass ihr euch nicht wundert als Servicehinweis. Dann ein zweiter Hinweis. Die nächste Folge
00:01:55: von i4D wird ein Tag später als normal herauskommen, also nicht am Montag in zwei Wochen, sondern
00:02:01: am Dienstag in zwei Wochen. Und letzter Hinweis, ganz herzliche Einladung zu unserem Podcast-Festival.
00:02:08: Alles wird gut, Reflap Podcast-Festival am 6. und 7. September hier in Zürich, falls ihr
00:02:14: in der Nähe seid und auch, falls ihr nicht in der Nähe seid. Ganz herzliche Einladung
00:02:18: dazu. Wir haben ganz, ganz tolle Gäste und ich werde auch eine i4U Live-Aufnahme machen
00:02:25: natürlich zum Thema Resilienz und Willenskraft. Ich spreche mit der extrem sportleren Bergsteigerin
00:02:31: Anja Blacher, die über 1000 Kilometer alleine als Frau durchs Eis gewandert ist. Und wir
00:02:37: reden darüber, was man da eigentlich für ein Mindset braucht. Und was es eigentlich braucht,
00:02:41: wenn man eben so viel alleine unterwegs ist und wie man das gut durchhält. Diese drei kleine
00:02:49: Hinweise. Und jetzt wünsche ich euch ganz, ganz viel Spaß beim Zuhören von der Folge zum Thema
00:02:54: Alter mit Heinz Röger. Viel Spaß. Hallo lieber Heinz, ich freue mich, dass du da bist. Herzlich
00:03:05: willkommen im Podcast. Danke. Wir starten mit unserem Gespräch über das Alter und ich starte
00:03:15: immer mit der Frage, wie geht es dir, wie fühlst du dich heute morgen? Mir geht es sehr gut. Sehr
00:03:19: schön. Ich starte mit drei Fragen an dich, die erste Frage. Ab welchem Alter ist ein Mensch alt?
00:03:28: Das ist so nicht zu beantworten. Das hängt von einerseits von gesellschaftlichen Kommissionen ab,
00:03:38: also zum Beispiel, dass man mit 65 Jahre alt in der Schweiz pensioniert wird. Und dann gilt man
00:03:44: in der Statistik als Alt. Das hängt ab von subjektiven Empfinden, wie ich mich hinterlich fühle. Und
00:03:54: das hängt ab von äußeren Zuschreibungen, vom Verschiedungsbild physisch von der Art,
00:04:05: wie ich noch im Leben stehe, ob ich noch in der Albe oder ob ich schon sehr kränklich,
00:04:12: passiv, weltabgeholt bin. All das kann eine Definition von Alt sein bestimmen. Es gibt also keine klare
00:04:24: Regelung, wer halt. Aber nun um das zu sagen, ich verstehe mich als Alt, sehr bewusst, bekennender
00:04:32: Alt. Ich wollte gerade sagen, ich habe einen Neffen und der ist zehn und der würde sicherlich sagen,
00:04:37: dass ich auch Alt bin. Ich werde 35 bald und für den bin ich auf jeden Fall auch schon alt.
00:04:43: Und man weiss, die statistische Befragung ist, dass je älter die Leute werden, desto höher
00:04:49: setzen sie das Grenzen an, wo man alt ist. Ja, natürlich. Es ist ja auch viel angenehmer,
00:04:56: sich selber noch nicht als Alt zu... Das ist jetzt schon eine Frage, ob das so angenehm
00:05:02: sei und ob es nicht. Ich würde das Gegenteil sagen, ich bin sehr gern alt und ich fände es schade,
00:05:09: wenn ich jetzt noch nicht so alt wäre, bin ich jetzt bei. Ja, finde ich schön. Da kommen wir
00:05:13: sicherlich gleich auch nochmal drauf zu sprechen. Ich habe noch zwei weitere Einstiegsfragen für dich.
00:05:18: Passt dazu, wie alt möchtest du werden? Also grundsätzlich habe ich bereits jetzt das Gefühl,
00:05:26: ich bin, was im Altentestament "lebenssatt" heisst. Also das heisst, ich hatte ein gutes Leben,
00:05:33: ich war privilegiert in meinem Leben, ich habe keinenlei Grund, dass ich unsfrieden wäre,
00:05:40: wenn ich jetzt übermorgen müsste sterben. Aber wenn ich so gefragt werde, wie alt möchtest du werden,
00:05:46: zwischen 80 und 85, wäre so eine solide Zahl. Und das passt quasi eigentlich zu dem,
00:05:59: was du auch gerade gesagt hast als dritte Frage. Wie möchtest du leben, wenn du alt bist? Das
00:06:05: passt, weil du jetzt gerade gesagt hast, du bist schon alt. Genau, lebst du so, wie du leben möchtest?
00:06:09: Ja, schön. Was heisst das für dich? Das heisst für mich, dass ich geniessen, dass ich nicht im
00:06:19: Arbeitsprozess, also im Arbeitsprozess im Sinne der Wirtschaft oder angestellten Verhältnisse
00:06:28: drin bin. Ich verfüge selber über meine Zeit, das ist grossartig. Auf der anderen Seite habe ich
00:06:37: sehr viele Aktivitäten, die ich schon aus der beruflichen Zeit in dem nach beruflichen
00:06:44: Inneren mitgenommen habe. Und ich bin sehr viel unterwegs mit Vordräg, Seminare,
00:06:51: vorlesigen Publikationen, Podcast Antworten geben, solche Sachen. Aber nicht so, dass ich im Stress
00:07:01: bin, sondern ich kann ausschlafen am Morgen, ich kann einen Mittagsschlaf machen, ich kann
00:07:06: durchhängen. Ich kann quasi tun und lassen, was ich will. Das ist ein gewaltiges Phänomen der
00:07:16: Freiheit. Und was ich auch schätze am Alter, ich finde, es gibt im Alter eine gewisse Innere
00:07:25: Freiheit und Gelassenheit. Ich muss niemand mehr irgendetwas beweisen. Ich kann einfach mich
00:07:31: selber sein. Ich kann sagen, was ich will, ob es, es hat keine negative Auswirkungen auf mich
00:07:40: beruflich oder so. Ich bin frei, ich bin sensibler für manche Aspekte des Lebens geworden
00:07:49: durch das Alter. Ich kann mich mehr einlassen auf das, was mir geschieht. Es gibt so innere
00:08:01: Entwicklungen, die sehr spannend sind und die zur Lebenszufriedenheit beitragen, die ich in
00:08:07: jüngeren Jahren so nicht hatte. Und von daher finde ich, für mich ist die jetzige Lebensphase
00:08:13: als junger Alter, ist die schönste Phase in meinem Leben, die ich je hatte.
00:08:17: Du hast gerade schon gesagt, als junger Alter, du oder man unterscheidet zwischen jungem und
00:08:24: hohem Alter, richtig? Ja, das sind zwei ganz unterschiedliche Kulturen. Übrigens auch zwei
00:08:30: Generationen. Wir leben heute ja nicht so lange, dass das Alter sagen, wenn wir das jetzt mal bei
00:08:39: 60, 65 beginnen lassen, dass das Alter dann quasi ein Drittel der ganzen Lebenszeit bei vielen
00:08:46: Menschen ausmacht. Und diese Drittel ist so lange, dass es eben eine Phase gibt, so grob zwischen 65
00:08:57: und 85, wo die meisten Menschen noch körperlich und auch geistig fit sind, mehr oder weniger fit
00:09:05: sind, sehr mobil, sehr engagiert in allerlei Aktivitäten, also dass so quasi die goldene
00:09:13: Zeit des Lebens erleben. Und dann die Phase 85 plus, wenn dann die Erfahrungen von abnehmenden
00:09:24: Kräften, von Einschränkungen, von größerer Verletzlichkeit auch, von Schwächen, von
00:09:35: Abhängigkeit von der Hilfe von anderen zunehmen. Das ist dann noch einmal eine andere Kultur und
00:09:42: eine andere Lebenssituation. Aber ich bin in der Phase der jungen Alten.
00:09:47: Aber wann ist ein Mensch für dich alt? Ich glaube für mich ist ein Mensch alt,
00:09:54: einerseits wenn man ein bisschen sein Kopf aufgegeben hat, würde ich sagen. Also wenn
00:09:59: es so aufhört zu trainieren und so, dann fängt für mich halt das Alter an. Vorher eigentlich kann
00:10:05: man auch mit 80 noch super fit und irgendwie jung geblieben sein. Das ist irgendwie so mein Take.
00:10:10: Wie alt möchtest du persönlich werden? Oh, ich habe keinen alter Ziel. Ich will einfach
00:10:17: möglichst lange fit bleiben. Aber sonst könnte es auch in fünf Jahren schon aufhören, auch okay.
00:10:22: Dann hast du die dritte Frage dazu, wie möchtest du leben, wenn du alt bist oder das Gefühl
00:10:27: hast, jetzt bin ich alt. Wie möchtest du dann noch leben? Ja, möglichst fit, möglichst nicht
00:10:31: eingeschänkt. Und ich hätte sogar lieber, dass mein Leben kürzer wäre und dafür nicht diese
00:10:36: eingeschränkte Phase darin ist. Und mehr einfach die Freiheit und die Sportlichkeit.
00:10:42: Super, das war schon. Dankeschön. Sehr gerne.
00:10:44: Du hast es gerade schon gesagt, du bist ein junger Alter und du genießt ganz viel, was du
00:10:54: jetzt hast. Die Freiheit, die Gelassenheit, die du auch sicherlich durch deine Erfahrung
00:10:59: mittlerweile hast, von den Jahren davor, die du schon gelebt hast. Was muss ich tun, wenn ich
00:11:08: ein gutes Verhältnis zum Alter entwickeln möchte? Wenn ich auch so, sag ich mal, jetzt, wenn ich
00:11:13: deine Alter hätte, was muss ich vorher tun, um für mich gut zu sorgen, um dann auch sagen zu können,
00:11:19: ich kann das jetzt gut genießen. Ich denke, das Wichtigste ist, dass man ein Menschenbild pflegt,
00:11:31: das davon ausgeht. Leben heißt Altern, Punkt. Es gibt kein Leben, das nicht Altern heißt. Das
00:11:38: ist das Normale des Lebens, dass man altert, älter wird. Und sich das klarmachen, das
00:11:47: verinnerlichen und bewusst in einer solchen Haltung zu leben. Und das heißt gleichzeitig ernst machen,
00:11:58: dass das Leben dann zur Entfaltung kommt, wenn man innerlich fällig ist, unterschiedliche
00:12:08: Lebensstufen zu durchleben. Und jede Lebensstufe ist jetzt egal, wie man die definiert, das ist nicht
00:12:17: der Punkt. Der Punkt ist, dass es unterschiedliche Lebensstufen gibt, kann bei jedem Mensch wieder
00:12:24: anders sein. Und die Kunst wäre jede Lebensstufe mit ihren Möglichkeiten, mit ihren Herausforderungen,
00:12:31: mit ihren Grenzen ganz intensiv zu leben und dann rechtzeitig abzuspringen und in die nächste
00:12:37: zu wechseln. Also ja nicht versuchen, wie das die Anti-Aging-Bewegung tut mit dem Slogan for every
00:12:46: young. Also ja nicht versuchen in der Jugend stecken zu bleiben, sonst verliert man die ganzen
00:12:53: Potenziale der Weiterentwicklung. Und das ist schade. Man wird im Alter gut leben, wenn man das
00:13:01: lernt, alte Zurücklassen, neue Lebensphasen angehen und herausfinden, was ist jetzt das Spezifische
00:13:09: dieser Lebensphase. Und das will ich ganz intensiv entdecken und lieben. Woran merke ich, wenn ich an
00:13:14: dem Punkt bin? Also woran merke ich, wenn ich abspringen muss? Ich glaube, da gibt es keine
00:13:21: objektiven Kriterien. Es gibt nur ein inneres Wachsein für Entwicklungen. Ich glaube, dass wenn man
00:13:31: bewusst sich darauf einlässt, dass Leben so ist, dann kann man ein inneres Gespür dafür entwickeln,
00:13:42: wann ist etwas vorbei und wann wäre jetzt eigentlich Zeit, alte Zurück zu lassen und auf
00:13:51: Neues zuzugehen. Und an diesem inneren Gefühl, an diese Sensibilität zu arbeiten, dafür wach
00:14:00: zu werden, sich das immer wieder auch zu fragen, das finde ich sehr wichtig. Das trägt zu einem
00:14:07: guten Alten bei. Das sind ja so Aspekte oder eine Frage des Mindsets, um dieses moderne Wort zu
00:14:13: zugebrauchen. Und ist es eigentlich so ein Mindset, auch als Vehikel oder als Instrument zu
00:14:21: verstehen, um eben auch mit den vielleicht Verlusten oder den schwierigen Situation dem loslassen,
00:14:29: einfach aktiv umgehen zu können? Ja, das denke ich. Es hängt ganz viel davon. Also älter werden wir
00:14:38: ohnehin. Aber wie wir älter werden, das hängt von vielen Faktoren, von äußeren, von inneren. Aber
00:14:48: ein wesentlicher Faktor ist, was du mit Mindset beschrieben hast, also die innere Einstellung,
00:14:55: die innere Lebenshaltung, die man hat. Und wenn dort Altern als wichtiger Elementarteil quasi
00:15:06: eingebaut ist in diesem Mindset, sich weiterentwickeln, mit den Verlusten und den Zugewinnen,
00:15:15: beides. Und den Herausforderungen. Und den Herausforderungen, genau. Einfach als Entwicklungsprozess. Und
00:15:21: nicht meint, quasi mit 65 ist das Leben jetzt gelaufen, jetzt lassen wir die Restenergie noch
00:15:27: auslaufen und dann warsten das, sondern dass man sich klar macht, nein, Altern heißt, ich gehe
00:15:33: auf eine neue Reise, ich, ich, ich, ich, ich entwickele mich weiter. Ich bin in einer ganz
00:15:40: spannenden Entwicklungsphase drin und die möchte ich mit Bewusstsein leben. Also bewusst Altern.
00:15:47: Und um Gottes Willen nur ja nicht lange jung bleiben. Mir ist gerade so das Bild von, von von
00:15:55: so einer Kurve in den Sinn gekommen. Da habe ich gerade gedacht, dass es ja vielleicht auch einfach
00:16:00: daran liegt, dass wir Zeit häufig auf so einer linearen Achse sehen und unser Leben dann, wenn man
00:16:05: das quasi als Kurve da reinzeichnen würde, auch ganz viel eben an körperlicher Kraft etc. hängt
00:16:12: und, und wenig auch zum Beispiel so was wie psychisch oder geistige Entwicklung mit berücksichtigt
00:16:18: wird. Und wenn ich jetzt auf so einer linearen Achse quasi einfach nur nach Lebenskraft gehen
00:16:24: würde, ja, dann bin ich jetzt auch schon wieder auf dem absteigenden Ast. Und dass, dass sich das
00:16:29: dann natürlich davon ein Gefühl erst mal nicht gut anfühlt, ist ja klar. Aber wenn man das jetzt
00:16:36: quasi eher als nicht als Kurve, sondern eben auch als Kreislauf oder ähnliches versteht und
00:16:42: einfach von diesen grafischen Darstellungen vielleicht mal versucht, eine andere Form zu
00:16:47: finden dafür, dann verändert sich auch schon ganz viel mit der inneren Haltung vielleicht dazu.
00:16:52: Das ist schon so. Und das ist auch ein Problem, dass in unserer Gesellschaft Altern primär einmal
00:17:00: über die Körperlichkeit definiert wird. Und die meisten Leute haben auch im Blick auf das Altern
00:17:07: primär Angst vor den körperlichen und allenfalls neurodegenerativen Veränderungen. Aber das Altern
00:17:16: auch ein sozialer Prozess ist, das Altern auch ganz stark ein psychischer Prozess ist, ein mentaler
00:17:25: Prozess, ein Prozess auch spiritueller in Art, ein Reifungsprozess, bei dem man Dinge neu erfährt,
00:17:40: Dinge neu sieht, Meinungen ändert, einen weiteren Horizont bekommt. All diese Dinge sind im
00:17:49: normalerweise nicht im Fokus. Und das ist schade. Dann sieht man nur die abnehmenden Seiten und das
00:17:58: ist so, spätestens ab 30 etwa nehmen wir kräftemäßig ab. Da können wir tun und machen, was wir wollen.
00:18:04: Das ist so. Aber das gehört zum Leben. Dafür nehmen andere Qualitäten oder Fähigkeiten zu.
00:18:12: Ich habe mir noch die Frage aufgeschrieben, ob man sozusagen dieses, was du auch gerade beschrieben
00:18:18: hast, dieses, dieses körperliche, dass das körperliche abnimmt, die körperliche Kraft auch
00:18:23: abnimmt und vielleicht auch irgendwie, du gesagtest, Neurodegenerative, dass das auch noch dazu kommt.
00:18:29: Kann man das überhaupt positiv umdeuten oder braucht es eine positive Umdeutung oder ist es
00:18:35: vielmehr, wie du es gerade angedeutet hast, eine Fokusverschiebung? Also man darf sich hier nicht
00:18:44: das Alter vergolden. Und so tun als wäre das nur ein wunderbares Sonntagspaziergang über Sonnenbeschiebene
00:18:55: Auen. Das ist nur ein Teil des Altes, aber sicher nicht das Alter als Ganzes, das Alter als Ganzes
00:19:05: hat auch sehr viele Herausforderungen. Gerade das klarkommens mit Erfahrungen von Minderung,
00:19:13: von Kräften, von Potenzialen. Das ist zweifellosso und das sollte man nicht schönreden. Es gibt in
00:19:20: unserer Gesellschaft so die Haltung des linearen Fortschritts. Das ist wie die Genetik unserer
00:19:28: Gesellschaft. Es muss im Normalfall alles ständig besser werden, leichter werden, schneller gehen,
00:19:37: mehr von bisherigen. Also dieses permanente Wachstum immer nur in eine Richtung und alles was dem
00:19:46: widerspricht, ist pathologisch. Wir gehen immer von der positiven Entwicklung aus, positiv im Sinne
00:19:52: von, was du gerade gesagt hast. Ja genau, man müsste dann fragen ob das positiv ist, aber optimieren
00:19:59: auch sehr stark quantitativ messen, voran eilen, das ist so die Hauptsache. Aber das Leben ist nicht so.
00:20:11: Und der Mensch eigentlich auch nicht? Nein. Sondern ich denke das wäre etwas von dem was ich
00:20:17: eine Lebenskunst des, überhaupt eine Lebenskunst nennen würde, aber in besonderen einer Lebenskunst des
00:20:23: Alters, dass man eine innere Haltung, du hast vorhin gesagt mindset, sich aneignet, davon ausgeht,
00:20:34: leben ist, immer nur in Polaritäten zu haben. Man kann nur Glück zusammen mit Erfahrungen von
00:20:46: Unglück haben. Es gibt nicht nur Glück, es gibt immer beides. Man kann nie immer nur gesund sein,
00:20:54: sondern Leben heißt ein permanentes Wechselspiel zwischen gesund und krank, mal ich das mehr von
00:21:00: dem, mal ich das weniger von dem, von Erfolg, von Misserfolg, von Anfangen und Enden, von Wachsen
00:21:09: und Abnehmen. Man könnte ganz viele solche Beide von Selbstständigkeit und Abhängigkeit. Man
00:21:16: könnte ganz viele solche Beispiele brauchen. Ein intensives menschliches Leben bewegt sich
00:21:23: immer in dieser Polarität und das ist irgendwie verloren gegangen, glaube ich, im durchschnittlichen
00:21:29: Selbstverständnis eines heutigen Menschen, dass das eben normal ist, dass auch die Seite von
00:21:36: Krankheit, Abhängigkeit etc. zum Leben gehört und wenn man das aber versucht bewusst, sich klarzumachen,
00:21:44: dass Leben eben beides heißt und die Kunst nicht darin besteht, das eine zu verdrängen und abzuschaffen
00:21:54: und nur noch die quasi das nach vorne streben oder nach besser streben zu kultivieren, sondern
00:22:01: eben beides zu kultivieren, Fähigkeiten zu entwickeln mit beidem und zu gehen, dann hilft das,
00:22:07: glaube ich, schon sehr auch mit abnehmenden Erfahrungen im Alter einigermaßen klarzukommen
00:22:13: und sich immer noch deutlich zu machen, ich bin völlig normal, wenn mir solche Dinge
00:22:18: wiederfahren und ich das spüre. Es muss nicht so sein, dass alles immer bergauf geht. Das ist
00:22:25: nicht das Leben, das wäre ein kitschige Karikadur des Lebens und zum guten Alten gehört, dass man
00:22:31: vom Kitsch weg kommt, aber auch weg kommt von diesen Vertäufelungen des Alters, wo alles dann nur
00:22:40: noch den Berg runter geht und nur noch schwarz Malerei ist, beides ist nicht hilfreich für
00:22:48: gutes Alter. Ab wann ist ein Mensch für sie alt? Wenn er unbeweglich wird, dann ist er alt. Also im
00:23:03: Kopf unbeweglich, nicht mehr spontan, das ist für mich alt. Wie alt möchten Sie persönlich
00:23:11: werden? 90. Schönes Alter. Wie möchten Sie leben, wenn Sie alt sind? Ich bin ja schon ziemlich reif.
00:23:24: Ich lebe gut, ich habe Familie, ich habe fünf Kinder. So möchte ich leben. Du hast es vorhin
00:23:37: schon angesprochen, so dieses Pro oder Better Aging im Gegensatz zu Forever Young oder zu einem
00:23:47: Anti-Aging Trend. Da stellt sich mir die Frage, soll ich möglichst jung eigentlich alt werden? Also
00:23:55: geht es darum, möglichst irgendwie jung zu bleiben und in diesem Jungbleiben alt werden oder geht es
00:24:03: eher um dieses länger Alter? Also gerade bei so Trends, wo es darum geht, irgendwie das Alter
00:24:09: zu verbessern oder aufzuschieben oder nach hinten raus zu zögern. Worum geht es da oder was ist die
00:24:17: Idee eigentlich auch dahinter? Alten geschieht heute in unserer Gesellschaft zwischen zwei Megatrends,
00:24:27: das eine ist, du hast es angesprochen, dieser internationale Trend des Anti-Aging, der versucht
00:24:36: unter dem Slogan Forever Young, das Alter entweder ganz auszuschalten, versuchen der Biogärontologie
00:24:45: oder es mindestens hinaus zu zögern oder wenn das auch nicht geht, es mindestens zu kaschieren.
00:24:55: Das macht die Cosmetik-Industrie, die Schönheitschirurgie etc. Das ist das eine,
00:25:02: halte ich nicht für sinnvoll, es für unmöglich ein konstruktives Alter, weil das Alten gemessen
00:25:11: Kriterien, die wir mit Jugendlichkeit assoziieren. Und das bringt nichts. Man soll in der Jugend
00:25:18: jugendlich sein, aber dann irgendwann einmal hat man es gesehen und dann sollte man vielleicht
00:25:24: sich überlegen, ob es nicht interessanter wäre, über das hinauszuwachsen.
00:25:28: Es ist das, was du gesagt hast mit dem Absprungsschaffen, also dass sich mir der Phasen bewusst sein
00:25:33: muss und auch mir bewusst werden muss, jetzt ist die Phase für Jugendlichkeit zu ändern.
00:25:38: Und jetzt bin ich in einem anderen Punkt in meinem Leben und jetzt nehme ich andere Herausforderungen
00:25:42: an. Genau, andere Werte, setze ich mir andere Ziele. Leistungsmäßig, entwicklungsmäßig,
00:25:49: psychisch wie auch immer. Und der andere Trend ist der, was man heute longevity nennt, also
00:25:57: eine forcierte Langlebigkeit, also nicht nur diese bescheidenen 81 oder 85 Jahre durchschnittliche
00:26:06: Lebenserwartungen, die wir heute haben, sondern weit darüber hinaus, 120 oder noch mehr.
00:26:14: Das ist, das boomt im Moment unglaublich. Es ist ein richtiger Reib, weil man sich auch
00:26:19: einen riesigen Markt verspricht von Produktendienstleistungen in diese Richtung. Jetzt, wo die Babyboomer,
00:26:27: also die geburten starken Jahrgänge zwischen 1946 und 1964, alt werden, die haben alle
00:26:38: ein Lebenskonzept gelebt, das waren so die 68er, da zeigt man der Welt, wo es lang geht,
00:26:47: aber ist sicher nicht gepoelt auf das Abnehmen und das Älterwerben, das kommt eigentlich
00:26:52: nicht vor. Deswegen sind das wunderbare Kunden für alles, was an die Zeit schon eine Langlebigkeit
00:26:58: ist. Und das finde ich eben auch nicht hilfreich. Ich glaube, wir stehen heute vor der doppelten
00:27:04: Herausforderung, einerseits bewusst und kreativ älter zu werden und uns nicht zu messen an
00:27:12: die jahrelnden Jugendlichkeit. Und auf der anderen Seite sind wir rausgefordert, wieder
00:27:18: zu sterben, zu lernen. Das klingt jetzt vielleicht blöd. Es ist aber eine uralte philosophische
00:27:23: Einsicht, dass man Zeneca hat, das zum Beispiel gesagt, dass man ein Leben lang Leben und Sterben
00:27:30: lernen muss. Also ein Verhältnis zur eigenen Endlichkeit zu gewinnen und nicht zu meinen,
00:27:39: es müsse immer noch länger, noch länger, noch länger gehen, sondern so zu leben, dass
00:27:44: man irgendwann auch mal sagen kann, jetzt ist gut. Auch wenn man medizinisch noch manches
00:27:50: machen könnte, ich lass das nicht mehr machen, ich entscheide mich jetzt, mein Leben abzudanken.
00:27:56: Ich finde das ein wunderschönes Wort, abzudanken. In Dankbarkeit zu sagen, es ist genug, es
00:28:02: muss jetzt nicht noch mehr sein. Und das kann in sich selbst ein sinnvoller Akt sein.
00:28:07: Ich habe gerade gedacht, als du von dem longevity Trend, das du den angesprochen hast, ich
00:28:13: dachte, es geht den Menschen ja auch nicht darum, die Phase des hohen Alters sozusagen
00:28:19: auszudänen. Es geht ja nicht darum, den körperlichen Zustand eines 90-Jährigen zu
00:28:24: haben und in dem quasi noch 30, 40 Jahre weiter zu leben, sondern dass die Menschen, die sich
00:28:30: so diesem Trend annehmen, sage ich mal so, zumindest in meiner persönlichen Wahrnehmung,
00:28:35: sind das ja häufig Menschen, die eigentlich nicht mal das junge Alter gerne haben und
00:28:41: dann aber maximal dieses junge Alter hinauszögern wollen, aber in diesem Spektrum des hohen
00:28:47: Alters wollen die ja gar nicht rein. Ja, das ist schon so. Monika Mara und die deutsche
00:28:51: Schriftstellerin hat einmal gesagt, ich möchte das, was alle wollen, ich möchte lange leben,
00:28:57: das ist manche Idee. Und ich möchte nicht, was alle nicht wollen, ich möchte nicht alt werden,
00:29:02: das ist Anti-Aging. Ich möchte am liebsten pendeln zwischen Mitte 30 und Mitte 40, bis die Jahre
00:29:10: abgelaufen sind, die mir zu gedacht sind. Das denke ich, das ist für viele irgendwie eine
00:29:17: Vorstellung bis 45 und dann nicht mehr weiterentwickeln, sondern dann einfach stehenbleiben
00:29:22: zwischen 35 und 45. Aber so geht das Leben eben nicht. Das ist nicht Leben. Leben heißt
00:29:30: älter werden und dazu gehört eben auch das Hinwachsen in einer Frage der Hochhaltigkeit
00:29:38: mit Phänomenen des Abnehmens. Der deutsche Philosoph Thomas Rentsch hat einmal gesagt,
00:29:45: Alten ist ein Werden zu sich selbst im Vergehen. Ich finde es sehr schön, dieses Nebeneinander
00:29:53: von Werden zu sich selbst, das heißt, es ist ein permanenter Prozess der Entwicklung,
00:29:59: Persönlichkeitsentwicklung bis zuletzt. Das ist der Gewinn, wenn man so will. Ich
00:30:04: entwickel mich weiter, bleibe nicht stehen. Aber es ist im Alter einer Entwicklung die ganz
00:30:12: stark mit Erfahrungen der Endlichkeit gekoppelt ist. Und deswegen hilft es, wenn man ein positives
00:30:19: Verhältnis zur eigenen Endlichkeit gewinnt und eben sterben, lernt. Lernt ja zu sagen,
00:30:25: das Leben geht irgendwann zu einer und ich gebe mir Mühe, so zu leben, dass ich auch mit 80 sagen
00:30:33: kann, wenn jetzt da irgendwie eine gravierende Krankheit kommt. Jetzt muss das nicht noch
00:30:38: therapeutisch kurativ behandelt werden. Jetzt kann ich auch mal sagen, ich lasse es sein. Jetzt gehe
00:30:44: ich palliativ bewusst dem Sterben dagegen. Das ist in sich selbst etwas, etwas Gutes. Es gab
00:30:53: 2022 einen ganz hochkarätigen internationalen Expertenbericht, einer Lancet Commission. Lancet
00:31:02: ist die berühmteste medizinische Fachzeitschrift der Welt. Und diese Kommission hat einen Bericht
00:31:08: geschrieben über den Wert des Sterbens. Das war ihr vorgegeben als Thema. Und dort drin hat sie
00:31:13: gesagt, Sterben ist gesund. Also sterben im Höhenalter. Und das glaube ich, müssen wir wieder lernen.
00:31:22: Und zu leben, dass das Sterben als gesunder, sinnvoller Teil des Lebens wieder platzert und nicht
00:31:30: mit Langevi, die das Leben krampfhaft immer noch länger ausbauen. Mein Gott, wir haben ein so
00:31:38: langes Leben bereits, wer mit 85 noch nicht lebenssatt geworden ist. Der wird es auch nicht mehr.
00:31:47: Der wird es auch nicht mit zehn Jahren zusammensetzen, denn er hat wahrscheinlich irgendwo die Weichenfalt
00:31:52: gestellt in seiner Lebensphilosophie. Und gleichzeitig entspricht es ja auch überhaupt
00:31:58: nicht unserer Zeit, zumindest in meiner Wahlminimum wieder, sterben zu lernen. Ich finde mich ja
00:32:10: gut. Ich bin ja als Mensch grundsätzlich erst mal ein Stück weit egoistisch. Und ich möchte ja
00:32:16: auch lernen. Und ich möchte ja auch viel lernen. Und ich möchte eigentlich auch gesund bleiben.
00:32:22: Ich möchte nicht krank sein. Ich möchte nicht aufhören zu lernen. Ich möchte auch nicht irgendwann
00:32:28: nicht mehr autonom sein. Ich möchte auch eigentlich nicht abhängig sein, obwohl ich das natürlich
00:32:34: früher als Kind oder als Jugendliche war. Aber dann habe ich mich ja daraus entwickelt. Und warum
00:32:38: sollte ich denn irgendwann wieder abhängig sein wollen? Also warum sollte ich denn dann sterben?
00:32:43: Also genau. Das entspricht ja einfach nicht unserer Zeit. Absolut. Ist ein schiefer Gedanke in der
00:32:50: Landschaft. Total. Ist aber ein philosophisch benachsames Gedanke, denke ich. Da würde ich dir
00:32:56: nicht widersprechen. Ja, ja, ja. Und ich finde eben, noch einmal zurückkommen auf diese Polaritäten.
00:33:03: Leben schon im Leben besteht aus Tausenderlei Facetten, die in der polaren Dynamik zwischen
00:33:17: anfangen und beenden leben. Das ist eine Grunddynamik des Lebens. Anfangen können und enden können.
00:33:27: Anpacken können und loslassen können. Und gesundes Leben ist dann eben gesund und entwickelt
00:33:36: sich gesund, wenn man beide Fasen hat. Und wenn man sich das immer klar macht und auch klar macht,
00:33:41: geborene werden und sterben ist beides sinnvoll. Und also ich für mich, ich fühle mich da nicht
00:33:51: zum Helden aufspielen, als wäre das Sterben so eine leichte Sache, die man mit Freude strahlt und
00:34:00: weiß ich was. Einfach so anpackt. Das will ich nicht. Aber ich finde sterben können ist etwas
00:34:08: wertvolles und ich möchte rechtzeitig sterben können, auch wenn man medizinisch mein Leben
00:34:17: noch verlängen könnte. Ich möchte nicht 90 werden. Es genügt, wenn ich vorher sterbe. Ich finde es
00:34:25: sinnvoll, dass ich mein Leben beende. Solange ich noch etwas zu lachen habe übrigens, bevor es dann
00:34:33: wirklich viele Menschen beklagen sich am Ende des Lebens über die Situationen, in die sie sich
00:34:40: selbst manövriert haben, indem sie bei jeder Krankheit, die hätte tödlich ausgehen können,
00:34:45: lebensverrängende Maßnahmen, kurative eingesetzt haben. Und am Schluss ist man unzufrieden,
00:34:50: dass man nicht mehr sterben kann. Ich möchte rechtzeitig sterben und den jungen Platz machen
00:34:56: in dieser Welt. Mein Leben muss nicht immer weitergehen. Es geht auch ohne mich. Ich finde
00:35:07: das übrigens auch so eine Haltung, die im Alter mehr zugewachsen ist als früher. So das Gefühl,
00:35:15: ich bin gerne noch da und ich glaube ich mache auch noch ein paar ganz gescheite Dinge. Aber es
00:35:23: geht sehr gut, auch ohne mich. Und ich habe überhaupt nicht das Gefühl, mein Leben müsse immer
00:35:31: weitergehen. Das darf zu Ende gehen. Das war eine Episode, eine ganz kleine Episode in diesem
00:35:37: Kosmos. Schön, dass ich die leben durfte. Aber es ist nicht so, dass ich partou dieses Leben immer
00:35:50: mehr verlängern möchte. Es wird sinnvoll sein, dass ich sterben kann. Und ich möchte das einmal
00:35:55: als etwas sehr Sinnvolles Leben durch Leben. Wo verstanden? Ich bin nicht suizidal. Überhaupt
00:36:03: nicht. Ich habe Freude am Leben. Ich bin sehr lebenslustig auch noch. Aber gleichzeitig gebe
00:36:09: ich mir Mühe und freunde mich immer mehr in den letzten Jahren an mit diesem Gedanken. Ich gehe
00:36:18: auf das Ende zu. Und das ist gut. Das ist spannend. Das darf sein. Das macht Sinn. Und wenn man mit
00:36:25: einem solchen Mindset das Alter lebt, lebt man es sehr, sehr viel besser, als wenn man krampfhaft
00:36:34: Longevity betreibt und alle möglichen Ernährungszusatzstoffe nimmt, Sporttreib, Fitness, Wellness,
00:36:43: medizinische Dienstleistungen, um nur Jahr noch länger als 95 zu leben, das finde ich, das ist
00:36:53: nicht nötig. Man kann so leben, dass man auch bewusst willendlich dankbar abdanken kann.
00:37:03: Ab welchem Alter ist ein Mensch alt? Ich fühle mich auf dir schon alt, mit Anfang 30. Aber ich
00:37:15: fürchte, mit 60 werde ich mich irgendwann so richtig alt fühlen. Also vielleicht so 62.
00:37:21: Ja, möchtest du persönlich werden? Kommt natürlich immer darauf an, wie das Leben so spielt, aber
00:37:30: 75 oder so reicht dann irgendwann auch. Wie möchtest du leben, wenn du alt bist? In einer
00:37:40: Gemeinschaft mit Leuten, die ähnliche Hobbys haben, wie ich, mit denen ich dann ganz viel Zeit habe,
00:37:46: meinen Hobbys nachzugehen. Du hast in einem von deinen Aufsätzen Michelle Foucault zitiert,
00:37:57: als es um die Lebenskunst des Alters geht. Michelle Foucault hat die Lebenskunst bezeichnet
00:38:03: als Kunst der Sorge um sich selbst. Du hast eben gerade auch schon viel darüber geredet,
00:38:08: was es bedeutet, um sich ums Alter zu sorgen, auch im Alter und im hohen Alter. Wie müssen
00:38:19: die Bedingungen sein, um eben das Altern als Lebenskunst zu ermöglichen, um sich noch
00:38:28: gut um sich selbst zu sorgen. Das eine, worüber wir schon viel gesprochen haben, ist eben das
00:38:32: Mindset, das psychische, dass sich damit auseinandersetzen. Jetzt ist eine andere Phase dran. Das andere
00:38:39: sind natürlich aber auch körperliche Dinge, aber auch gesellschaftliche politische Dinge. Was sind
00:38:45: da für dich die Bedingungen, die notwendig sind, um eben Altern noch als Lebenskunst betreifen zu
00:38:51: dürfen? Also ich denke, das eine ist eine gute medizinische Grundversorgung, wenn ich an irgendwelchen
00:39:02: grauenhaften Krankheiten leide Schmerzen habe, die mich verzehren, die nicht behandelt werden
00:39:10: können und ich quasi durch ein Feuer der Agonie hindurch gehen muss, dann ist das grauenhaft und
00:39:22: einem guten Alter abträglich, zweifellos. Also das ist das eine, das medizinische, im Blick auf
00:39:30: unsere Körperlichkeit eine gute medizinische Grundversorgung. Man kann sagen, die haben wir
00:39:35: in der Schweiz. Das andere sind gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Auf der einen Seite materieller
00:39:44: Art, eine altes Vorsorge, altes Absicherung, die dafür schaut, dass Menschen im Alter nicht an einer
00:39:53: Verarmung leiden müssen und quasi das materiell Nötige zum Leben nicht mehr haben. Dann ist die
00:40:03: Lebenskunst auch sehr viel schwieriger, wenn man an Präkariatsgrenze leben muss. Und es gehört
00:40:13: dazu, dass in einer Gesellschaft nicht permanent negative Altersbilder herrschen, die zu Alters
00:40:22: Scham führen. Dieses Phänomen gibt es, dass Menschen sich schämen, dass sie noch leben, weil sie
00:40:32: spüren in der Gesellschaft ist Alter, vor allem wenn es auch Alter mit Einschränkungen bedeutet,
00:40:39: dass es eigentlich nicht gern gesehen ist, dass man eigentlich findet, das ist doch kein wertvolles
00:40:44: Leben mehr, der oder die könnte doch gehen. Man muss das doch heute nicht mehr aushalten. Und
00:40:50: wer in einem so negativen Altersbildkontext lebt, man kann sagen in einem agistisch geprägten
00:41:02: kulturellen Kontext, also mit negativ Wertungen des Alters, der wird sich auch sehr viel schwer
00:41:08: tun oder muss mit sehr viel mehr Kraft gegen solche gesellschaftlichen Abwertungen des Alters
00:41:14: ankämpfen und eine positive Kultur des Alters für sich selbst, eine Lebenskunst des Alters entwickeln.
00:41:22: Also da gesellschaftlich dafür sorgen, dass Menschen im Alter gut leben können, dass sie ohne
00:41:31: Schamgefühle auch zu ihrem Alt sein stehen dürfen, dass respektvoll mit alten Menschen umgegangen
00:41:37: wird, das ist ganz, ganz entscheidend für die, für das Entwicklung eines inneren Mindsets,
00:41:44: der dann dem Altern zuträglich ist. Ist es für dich umsetzbar, braucht es da was
00:41:50: politisches, oder ist es tatsächlich eine Frage von, wie sichtbar ist Alter in der Gesellschaft,
00:41:57: oder wie ist das möglich? Weil ich erlebe es nicht so, dass das der Fall ist. Also das,
00:42:04: dass Altern oder sehr alte Menschen sind häufig nicht inkludiert ins Denken oder
00:42:13: auch in so ganz praktische Dinge wie ja Vorbewegungsmittel etc. Möglichkeiten in die Richtung.
00:42:19: Wie wäre das für dich umsetzbar? Wie kann man das integrieren? Was muss passieren?
00:42:27: Ja, das ist schon so. In unserer Gesellschaft gibt es für alte Menschen Hindernisse zu
00:42:40: partizipieren, die öffentliche Verkehr ist ein Beispiel, ein Beispiel, dass viele Leute auch
00:42:48: alltäglich erleben. Das ist eindeutig so. Ich denke, es ist wichtig, dass es in der Gesellschaft
00:42:57: auch Lobby gibt für die Bedürfnisse alter Menschen. Also Prosenic Dutte zum Beispiel,
00:43:03: die sich als große, starke Organisationen einsetzt für Bedingungen, Rahmenbedingungen,
00:43:12: die altersgerecht sind. Übrigens auch das ganze Thema altersgerechtes Wohnen.
00:43:18: Das Wohnraum mit Betreuungsdienstleistungen, die damit gekoppelt sein können,
00:43:26: vorgehalten wird, der alten Menschen entspricht, dass sie auch möglichst lange selbstständig
00:43:34: leben können, weil der Wohnraum so eingerichtet ist, dass er auch bei Einschränkungen immer noch
00:43:41: lebbar ist. So. Oder Dienstleistungen angeboten werden, die es Menschen helfen, auch zu Hause
00:43:54: in ihren vier Wänden zu wohnen, wenn sie nicht mehr so mobil sind, für das Einkaufen oder weiß
00:43:59: ich was eben. Also alle Stichworte rund um das Caring Community, von dem heute oft geredet wird,
00:44:08: also sorgende Quartiergemeinschaften, Dorfgemeinschaften bilden, in denen Menschen
00:44:16: füreinander Sorge tragen und einander aushelfen. Das sind ganz wichtige Dinge, die weiter
00:44:24: ausgebaut werden können und sollen. Aber meiner Meinung nach ist eine der ganz großen Schwierigkeiten,
00:44:31: dass auch viele alte Menschen eben ein negatives, resignatives Altersbild für sich selbst entwickeln
00:44:40: und gar nicht versuchen, ein bejahendes Altersbild zu entwickeln und Alter so zu leben, dass es seine
00:44:57: Chancen auch wirklich verwirklichen kann. Und wenn jetzt kommen wir in eine Phase mit einer starken
00:45:06: Zunahme, eben der Baby Boomer, die jetzt alt werden. Das gibt einen Schub in der demografischen
00:45:12: Entwicklung unserer Gesellschaft. Ich bin insofern getrost, als die Baby Boomer Generation gewohnt
00:45:20: ist, dass sie schon zu ihren Rechten schaut und schon auch in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam
00:45:28: macht. Ich glaube, das ist hilfreich für die nächste Zeit, die kommt. Aber die Baby Boomer haben
00:45:34: das Problem, dass sie ein Menschenbild haben, das nicht unbedingt diese Aspekte des Werden zu
00:45:44: sich selbst im Vergehen inkludiert. Ich glaube, das Vergehen ist da nicht so gern gesehen. Ja,
00:45:48: das Vergehen ist überhaupt nicht Teil des Programms der Baby Boomer. Und da müssen die Baby Boomer,
00:45:54: denke ich, in der nächsten Zeit ziemlich dazulehren und Wege finden. Eben, wie Seneca gesagt hat, ein
00:46:03: Leben lang Leben und Sterben lernen und herausfinden, wie das ist, sich somit der Sterbliche mit
00:46:10: der Endlichkeit anzufreunden, dass man das Leben vor dem Ende des Lebens umso intensiver genießt.
00:46:17: Denn wenn ich mir bewusst bin, dass mein Leben endlich ist, hat das den Effekt, dass sich die Tage,
00:46:25: die mir noch gegeben sind, ganz anders auskostet, ganz anders mit ihnen umgehen, sie als kostbare
00:46:34: Möglichkeit versuche zu leben, zu gestalten, zu genießen, ohne mich daran zu klammern, aber in
00:46:42: großer Dankbarkeit versuche, das Carpe die M zu leben, pflücken den Tag, mach etwas aus der Zeit,
00:46:50: pack die Chancen, die du hast, genieße das Leben, das du noch hast, es gibt genug anderes, was du
00:46:57: ertragen musst, aber genieße, was zu genießen ist. Um das zu pflegen, um dann auch rechtzeitig
00:47:04: sagen zu können, so, das war es, jetzt darf es enden. Das müssen wir lernen. Und das ist die
00:47:10: Aufgabe einer Lebenskunst des Alters, dass wir an diesem alten philosophischen Thema dranbleiben
00:47:17: und versuchen so zu leben, dass wir gut Alten können, aber Alten nicht des Alter ihnen ausschieben.
00:47:23: Ich hätte gar kein schöneres Schlusswort finden können, als du jetzt quasi selber gebracht hast.
00:47:33: Wir reden jetzt schon eine Zeit lang und bevor wir den Podcast beschließen, will ich dich zumindest
00:47:38: noch fragen. Du hast es eigentlich gerade schon gesagt, aber vielleicht hast du noch irgendwie
00:47:42: einen Eingedanken oder eine Übung oder eine Idee, die du ganz konkret den Hörenden mitgeben möchtest,
00:47:50: dann wäre jetzt der Zeitpunkt dafür. Wenn man älter wird, hat man manchmal nachts Schlafstürungen.
00:47:57: Man kann sich darüber erinnern oder kann Pillen nehmen oder Medikamente oder weiß ich fast
00:48:04: gegen dich, Schlafstürungen, aber viele Alte haben das. Man kann es auch als Chance nutzen. Ich
00:48:10: nutze solche schlaflosen Phasen in der Nacht, um mir so Gedanken zu machen, über alles Mögliche,
00:48:19: im warmen, bequemen Bett. Das ist wunderbar, so auf Gedankenreise zu gehen. Und eine dieser Fragen,
00:48:26: die man dann so zwischen wach sein und schlafen in sich bewegen könnte, wäre herauszufinden oder
00:48:37: ich muss so sagen, sich bewusst zu werden, ich bin so alt. Also in meinem Fall jetzt, ich bin 72,
00:48:46: mir das ganz bewusst zu sagen, nicht ich möchte jünger sein, sondern ich bin 72. Und dann sich zu
00:48:55: überlegen, was heißt jetzt das, welches sind eigentlich die Chancen, die dieses Alte bietet?
00:49:03: Und welche sind die Herausforderungen? Und dem so nachzuspüren, innerlich sensibel zu werden,
00:49:12: was ist jetzt ganz spezifisch für diese Lebensphase wichtig? Nicht für, wie es vor fünf Jahren war,
00:49:18: das ist vorbei. Aber was könnte jetzt dran sein? Und dann am anderen Tag, wenn man wach ist,
00:49:27: in diese Richtung weitergehen, dann hat man etwas von dieser Entwicklung Abspringen in
00:49:34: früheren Vasen auf einen neuen Zug, der weitergeht, versucht. Und das bringt das für ein glückliches
00:49:42: Alten. Vielen lieben Dank. Lieber Heinz, ich habe mich sehr, sehr gefreut, dass du hier warst. Vielen
00:49:47: Dank fürs Gespräch. Ich frage dich zum Abschluss noch, wie es dir gerade geht? Immer noch gut.
00:49:51: Immer noch gut. Sehr schön. Das freut mich. Vielen lieben Dank, dass du da warst. Vielen
00:49:56: Dank fürs Gespräch. Und ja, vielleicht nehme ich dir die schlaflose Übung dann auch einfach für
00:50:03: die nächste Nacht, wo ich dann anfangen oder wo ich dann nicht schlafen kann. Einfach für
00:50:08: mich auch mal mit vielen lieben Dank. Danke dir.
Neuer Kommentar